Grünkram: Die Kinder-Sex-Mafia in Deutschland
Adolf Gallwitz und Manfred Paulus
Hilden: Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 2. Auflage 1998
175 S.


Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine Abhandlung über die Anbieter und Konsumenten von Kinderpornographie und Kinderprostitution in Deutschland, geschrieben von einem Psychologen und einem Kriminalbeamten.

Zum Inhalt:
In Deutschland wird die Zahl ständiger Konsumenten von kinderpornographischen Erzeugnissen auf gut 50.000 geschätzt. Sie gehören einer netzartig strukturierten Pädophilen- und Päderastenszene mit internationalen Verbindungen an. Daneben treten zunehmend kriminelle Organisationen aus Osteuropa als Anbieter auf.
Nur der kleinere Teil kinderpornographischer Erzeugnisse stammt aus professioneller Hand und gut eingerichteten Studios. Die "Funktionen" des Produzenten, des Darstellers, des Vertreibers oder Zwischenhändlers, des Konsumenten und der Familienangehörigen oder Eltern, die Kinder für Aufnahmen zur Verfügung stellen, überschneiden sich vielfach.
Hergestellt werden Kontakte innerhalb der Szene vor allem durch Chiffre-Anzeigen und das Internet und über Pädophilen-Organisationen, die offiziell einen therapeutischen Anspruch haben. Die Opfersuche erfolgt ebenfalls u.a. über Kleinanzeigen, z.B. Verkaufsangebote, die auf Kinder hinweisen.
Es gibt unterschiedliche Tätertypen. Sie lassen sich unterteilen in einen fixierten, einen regressiven, einen "Erlebnis"-Täter und einen soziopathischen Tätertyp, d.h. einen hinsichtlich seiner psychosexuellen Entwicklung zurückgebliebenen, einen zurückgefallenen, einen normalen und einen kranken Täter. Das Feld der potentiellen Täter kann ferner in ausschließlich pädosexuell und in zusätzlich pädosexuell Interessierte gegliedert werden. Zahlenmäßig am kleinsten ist die Gruppe der soziopathischen Täter, die sich durch eine besonders aggressive, sadistische Orientierung auszeichnen.
Anhand eines komplexen Ermittlungsverfahrens werden Struktur- und Verhaltensmuster innerhalb der Pädophilenszene aufgezeigt. Dabei geht es u.a. um die sexuelle Ausbeutung dreier Jungen, deren Mutter auf eine Kleinanzeige geantwortet hatte: "Biete alleinstehender Frau mit Kindern aus der ehemaligen DDR kostenlosen Urlaub in der Schweiz". Den Tätern, einem deutschen Rentner und einem wohlhabenden Schweizer, gelang es, das Vertrauen der Mutter zu gewinnen und ihr mit Hilfe eines ebenfalls der Pädophilenszene zugehörigen niederländischen Psychologen zu suggerieren, pädophile Kontakte seien für Kinder förderlich. Zum Missbrauch an den Jungen wurden weitere Pädophile aus verschiedenen Ländern eingeladen.


Beurteilung:
Die Autoren erheben ausdrücklich nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Abhandlung. Über weite Strecken ist das Buch ein kriminal- und gesellschaftspolitisches Plädoyer für eine offensive Auseinandersetzung mit dem Problem des Kindesmissbrauchs. Dabei weisen sie der Tabuisierung der Sexualität innerhalb der Gesellschaft ebenso eine Mitveranwortung zu wie der Instrumentalisierung von Sexualität in den Medien und insbesondere auch durch (allgemeine) Pornographie. Es gelingt ihnen, sehr differenziert auf vielfältige individuelle und soziale Faktoren einzugehen, die bei der Täter- und Opferwerdung eine Rolle spielen. Konsequenterweise beziehen sie abschließend gegen übereifrigen Aktionismus Stellung: "Jedes Übermaß an Emotionen, Leidenschaftlichkeit, Haß, Wut, aber auch ein soziales Klima, das an allen Ecken Mißbraucher vermutet, ist einer Aufdeckung von Übergriffen ebenso abträglich, wie eine verbreitete Kultur des Wegschauens durch den anderen Elternteil, durch Verwandte, Bekannte und Nachbarn".
Für den an organisierter Kriminalität Interessierten bietet das Buch einen ersten Einblick in die spezifischen Strukturformen der Pädophilenszene, die sich durch einen häufigen Rollenwechsel zwischen Anbieter und Abnehmer illegaler Güter und Dienstleistungen von anderen illegalen Märkten unterscheidet. Bemerkenswert ist auch die soziale Zusammensetzung der Szene, die wohl einen Querschnitt durch alle Gesellschaftsschichten darstellt und nicht zuletzt Mitglieder der gesellschaftlichen Eliten mitumfasst. Hierfür geben die Autoren eine Reihe von Beispielen.


Gesamtbewertung:
Das Buch ist eine empfehlenswerte Einführung in die Gesamtproblematik, der die Gratwanderung gelingt, auch die abschreckensten und abgründigsten Seiten zu beleuchten, ohne dabei skandalisierend zu sein oder voyeuristische Neigungen zu bedienen. Was der Untertitel des Buches ("Kinder-Sex-Mafia") allerdings in Bezug auf die Strukturen der Pädophilenszene verspricht, wird nur in Ansätzen gehalten. Die Fallbeispiele sind zwar instruktiv, werden aber nicht zu einer übergreifenden Strukturanalyse zusammengefasst.


Weiterführende Literatur
Jenkins, Philip, Beyond Tolerance: Child Pornography on the Internet, New York: New York University Press, 2001.
Wuttke, Gisela, Kinderprostitution, Kinderpornographie, Tourismus, Göttingen: Lamuv, 1998.


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