Klaus Speer: Eine Legende?
Rixdorf, Werner
Berlin: Verlag Das Neue Berlin, 1995
256 S.


Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine Biographie von Klaus Speer, Boxpromoter, Immobilienhändler und angeblicher "Pate von Berlin", eingebettet in einen Bericht über den von 1993 bis 1995 vor dem Landgericht Berlin geführten Prozeß gegen Speer und mehrere Mitangeklagte wegen Kreditwuchers, Erpressung, illegalen Glücksspiels und anderer Delikte. Der Autor stützt sich vornehmlich auf Zeitungsberichte, eigene Prozeßmitschriften und Befragungen von Personen aus dem näheren und weiteren Umfeld von Speer. Speer selbst stand dem Autor offensichtlich nicht zur Verfügung.

Zum Inhalt:
Der 1944 geborene Speer wächst hauptsächlich in Heimen auf und schließt sich 19jährig der Bande seiner älteren Brüder an, die sich zunächst auf Diebstähle und Einbrüche spezialisiert. Dank seiner boxerischen Fähigkeiten avanciert Speer jedoch bald zu einem Ordnungsfaktor im Rotlichtmilieu unter der Protektion des Bordellunternehmers Hans Helmcke, einer schillernden Figur Nachkriegsberlins. Die Speer-Bande gerät mit einem ebenfalls für Helmcke arbeitenden Iraner in Konflikt. Der Streit weitet sich aus zu einem Kampf um die Vorherrschaft im Westberliner Rotlichtmilieu, der schließlich am 27. Juni 1970 mit Waffengewalt ausgetragen wird. Speers Leute, verstärkt durch angereiste Unterweltfiguren aus Westdeutschland, stehen sich in der Bleibtreustraße einer Gruppe von Iranern gegenüber. Was genau geschah, kann auch nach einem langen Prozeß nicht geklärt werden. Fest steht, daß die Deutschen mit Hilfe einer Maschinenpistole einen Iraner erschießen und drei schwer verletzen. Speer soll im Vorfeld versucht haben, durch Einschaltung der Polizei die Schießerei zu verhindern, und soll sich vor der Schießerei vom Ort des Geschehens entfernt haben.
Für seine Beteiligung an der Bleibtreustraßen-Schießerei wird Speer zu einer Haftstrafe verurteilt. Nach deren Verbüßung widmet er sich dem Boxgeschäft und dem Immobilienhandel. 1992 wird Speer auf der Grundlage siebenjähriger Ermittlungen einer polizeilichen Sonderkommission verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Speer soll mit Komplizen illegale Glücksspiele veranstaltet und Gewinne mit Hilfe von Wechseln und Gewaltandrohung eingetrieben haben. Hinzu kommt der Vorwurf illegaler Abfragen aus dem Polizeicomputer mittels eines befreundeten Polizeibeamten und unerlaubten Besitzes einer Schußwaffe, die unbenutzt in einem Getränkeautomat in der Sportschule Speers versteckt war. Horst Mahler, ehemaliger Mithäftling von Speer in den 70er Jahren, übernimmt die Verteidigung. Sein aggressiver Stil und eine Flut von Anträgen bringen das Gericht gegen ihn auf. Am Ende des Prozesses bleibt der Vorwurf des Eintreibens von Wucherzinsen bei einem spielsüchtigen Arzt sowie der Vorwurf unerlaubten Waffenbesitzes und illegaler Abfragen im Polizeicomputer. Dafür erhält Speer fünfeinhalb Jahre Freiheitsentzug. In der Urteilsbegründung wird das Auftreten von Mahler gerügt und gleichzeitig strafmildernd berücksichtigt, daß sich Speer als "Pate von Berlin" habe titulieren lassen müssen, obwohl der Prozeß dafür keine Anhaltspunkte geboten habe.

Beurteilung:
Ein einfühlsames Porträt von Speer und seiner Lebenswelt. Die Stärke des Buches liegt dabei nicht so sehr in der Aufhellung der Person Speer selbst. Über ihn erfährt man relativ wenig, wohl auch weil die beiden Prozesse gegen Speer in den 70er und 90er Jahren wenig Handfestes erbracht haben und der Autor keinen direkten Zugang zu Speer hatte. Aufschlussreich ist die historische Aufarbeitung des Westberliner Halbweltmilieus mit der ausführlichen Beschreibung der Lebensgeschichte von Hans Helmcke und dessen gesellschaftlicher Stellung.
Die gängigen Klischees organisierter Kriminalität werden nicht reproduziert. Das Buch hätte ein sorgfältigeres Lektorat verdient, um einige stilistische Holperigkeiten zu glätten und die Kommasetzung zu optimieren.

Gesamtbewertung:
Eine einfühlsame Beschreibung der Westberliner Halbwelt auf der Basis von Zeitungsberichten und Prozessmitschriften, allerdings mit gewissen handwerklichen Mängeln behaftet.


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